Bleiberechtsbeschluss mit Mängeln behaftet

Veröffentlicht am 23.11.2006
in Redaktioneller Eintrag

Veröffentlicht am 23.11.2006


Bleiberechtsbeschluss mit Mängeln behaftet

Rechtsanwältin stellt auf Einladung des Arbeitskreises Asyl den Beschluss der Innenminister vor

Fachkundig und engagiert trug die Ludwigsburger Anwältin und Menschenrechtlerin Ingrid Hönlinger im Rahmen der Friedensdekade den Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz vom 17. November vor.
Etwa 180 000 Menschen haben derzeit in Deutschland kein reguläres Bleiberecht, sondern lediglich eine Duldung. Sie sind einst vor politischer oder religiöser Verfolgung bzw. Bürgerkrieg aus ihrer Heimat geflohen und haben kein Asyl bekommen. 1/3 stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, jeder zehnte kommt aus den aktuellen Krisenländern Irak und Afghanistan. Sie sind formal ausreisepflichtig; weil sie aber nicht abgeschoben werden können – etwa weil die Lage im Herkunftsland zu gefährlich ist - werden sie geduldet. Gut die Hälfte der Geduldeten lebt mehr als 5 Jahre hier, mit großen Nachteilen bei der Jobsuche und der beruflichen Eingliederung Jugendlicher.
Auf Beschluss der Innenminister können Geduldete nun eine auf 2 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sie mindestens ein Kind haben und seit 6 Jahren hier sind; Kinderlose nach 8 Jahren.: Außerdem müssen sie in einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis stehen, über ausreichend Wohnraum verfügen und ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen können.
Allerdings ist absehbar, dass diese Regelungen nur für einen Teil der Flüchtlinge eine Wende zum Guten bringen. Viele Flüchtlinge sind im Reinigungs- und Gaststättengewerbe tätig. Sie verfügen nur über Zeitverträge und können kein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis im engeren Sinn nachweisen. Und da die anhaltende Arbeitslosigkeit auch vor Geduldeten nicht halt macht, gibt es auch hier Menschen, die trotz intensiven Suchens längere Zeit ohne Arbeit sind. Auch bei ihnen greift die vorgesehene Altfallregelung zu kurz.
Aus der Mitte des Publikums brachte ein serbischer Bürgerkriegsflüchtling mit abgeschlossener Schul- und Berufsausbildung seine Enttäuschung zum Ausdruck, dass er trotz eines unbefristeten Arbeitsvertrages und einer eigenen Wohnung nicht die erhoffte Aufenthaltserlaubnis erhalten kann, weil ihm einige Monate zum notwendigen achtjährigen Aufenthalt am Stichtag 17.11. fehlen. Dem gleichen Schicksal ausgeliefert ist ein schwarzafrikanischer Schlachtergehilfe, der seit 5 Jahren in Deutschland ist und mit einer bleibeberechtigten Bosnierin und dem gemeinsamen Kind zusammenlebt – aber auch für ihn bietet der Innenministerbeschluss keine Lösung an.
Die Rechtsanwältin wies darauf hin, dass Geduldeten durchgängig ein Bleiberecht verwehrt wird, wenn sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen. Es wurde kritisch angefragt, ob es dem christlichen Menschenbild unserer Verfassung entspricht, wenn Menschen, die bedürftig oder nur eingeschränkt arbeitsfähig sind, aufgrund dessen von einer humanitären Regelung ausgeschlossen werden.
Hönlinger weiter: „Für einige der langjährig Geduldeten wird es eine schnelle und befriedigende Lösung geben, wenn sie es nicht versäumen, bis zum 17. Mai 2007 den entsprechenden Antrag zu stellen. Man kann davon ausgehen, dass die Ausländerbehörden mit an guten Regelungen interessiert sind. Für viele andere jedoch bauen sich erneut unüberwindbare Hindernisse auf, und die angespannte Lebenssituation zwischen Hoffen und Bangen dauert weiter an.“
Einer Nebenbestimmung zufolge wird, falls ein Familienmitglied straffällig wird, grundsätzlich die gesamte Familie von einer Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Es tauchte die Frage auf, ob solch eine Form der Sippenhaft nicht einer demokratischen Rechtskultur unwürdig sei.
Erol Schirin vom Sozialdienst für Asylbewerber im Ludwigsburger Landratsamt wies auf den niedrigen Stand der Asylbewerberzahlen hin. Zurzeit sind in den Sammelunterkünften nur noch 250 Menschen untergebracht. Die anhaltend geringe Zahl der Neuzugänge würde eine großzügige Altfallregelung begünstigen.
Eine weitere Anfrage galt iranischen Flüchtlingen, die zum Christentum übergetreten sind. Die gängige Rechtsprechung ist der Auffassung, dass der christliche Glaube im Iran im privaten Bereich ausgeübt werden kann und darum nicht als Abschiebehindernis geltend gemacht werden kann. Dahingegen betont eine europäische Richtlinie die Position der Kirchen, dass Öffentlichkeit wesentlich und unverzichtbar zur christlichen Religion gehört.
Der Flüchtlingsbeauftragte des evang. Kirchenbezirks, Pf. Martin Kreuser, betonte: „Die menschenunwürdige Praxis der Kettenduldungen wird leider weiter fortbestehen. Sie ist menschlich zermürbend und sie untergräbt den Wunsch vieler Flüchtlinge, sich zum Wohl unseres Landes hier einzubringen. Die engherzige Regelung wirkt sich für unser Gemeinwesen kontraproduktiv aus. Statt die Fähigkeiten von Flüchtlingen zu nutzen, legt man sie weiter in endlose Warteschleifen.“
Pf. Dieter Haug vom Arbeitskreis Asyl erinnerte an das Motto des Tages des Flüchtlings: Hier geblieben! – und unterstrich: „Wir werden weiter für ein umfassendes humanitäres Bleiberecht eintreten.“
Ingrid Hönlinger stellte die Diskussion um das Bleiberecht abschließend in einen größeren Zusammenhang und strich hervor, dass verantwortliches politisches Handeln verstärkt bei den Fluchtursachen ansetzen muss. Den Menschen muss in ihren Heimatländern eine sinnvolle Perspektive eröffnet werden.

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