Hilfe oder Abwehr? - Das neue Zuwanderungsgesetz

Veröffentlicht am 30.12.2005
in Redaktioneller Eintrag

Veröffentlicht am 30.12.2005

Hilfe oder Abwehr? - Das neue Zuwanderungsgesetz

Die Flüchtlingsbetreuerin Heidi Gauch referiert beim Arbeitskreis Asyl

Die Botschaft der Möglinger Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Heidi Gauch war klar und deutlich: das neue Zuwanderungsgesetz eröffnet Möglichkeiten für Einzelne, wird aber in vielen Fällen so umgesetzt, dass es den Ausreise- und Abschiebedruck auch auf bereits integrierte Flüchtlinge und Familien enorm erhöht. Als Zeichen der Hoffnung hatte die auch bei amnesty international tätige Referentin vor sich eine mit Stacheldraht umwickelte weiße Kerze brennen. Das Schicksal der Menschen liegt ihr am Herzen.
Ihr Vortrag war ein Plädoyer für mehr Zivilcourage: Flüchtlinge, die aus großer Not nach Deutschland gekommen sind, nicht ausgrenzen und abschieben, sondern ihnen mit uns eine gemeinsame Zukunft ermöglichen. Mit Verstand und Beharrlichkeit kann auch unter schwierigen Bedingungen geholfen werden!
In seiner ursprünglichen Absicht wollte das Zuwanderungsgesetz dem Umstand Rechnung tragen, dass in Deutschland Einwanderung stattfindet. Doch statt Integration zu befördern, verschlechtert sich in der Folge des seit 1. Januar gültigen Gesetzes die Lage vieler Flüchtlinge.
So lebt Fam. C. aus dem Irak seit 6 Jahren in Deutschland. Sie finanziert ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit und lebt in einer privaten Wohnung. Eine Aufenthaltserlaubnis wurde abgelehnt mit der Begründung, eine freiwillige Ausreise ins Herkunftsland sei möglich. Dass der Irak trotz der dort stationierten US-Truppen weiter im Chaos versinkt und Heimkehrern keine Perspektive bieten kann, fand bei der Urteilsbegründung keine Berücksichtigung. Herr C. muss noch froh sein, dass ihm im Unterschied zu anderen Langzeit-Flüchtlingen in diesem Jahr die Arbeitserlaubnis bisher noch nicht entzogen wurde.
Ein Arbeitsverbot bedeutet für die Betroffenen den Anfang einer Abwärtsspirale. Sie bekommen, obwohl sie oft jahrelang in die Arbeitslosen-Versicherung einbezahlt haben, kein Arbeitslosen-geld II, sondern nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz deutlich weniger. Personen, die über Jahre aus eigener Kraft ihre Existenz gesichert haben, werden plötzlich gezwungen, von Sozialhilfe auf unterstem Niveau zu leben.
Einige Personengruppen aber, für die es bisher kaum Aussicht auf Asyl gab, kann mit dem neuen Gesetz Hoffnung gemacht werden: Asyl erhalten politisch Verfolgte, die bei Bürgerkriegen zwi-schen die Fronten gerieten und Opfer nichtstaatlicher Verfolgung wurden. Ebenso Frauen, die eine geschlechtsspezifische Verfolgung nachweisen können. Die Referentin konnte auf 5 Fälle hinweisen, in denen Frauen in ihrem Herkunftsland ein Ehrenmord angedroht wurde und denen daraufhin nach langen Verfahren vom Verwaltungsgerichtshof ein Bleiberecht zugesprochen wurde. Ähnliche Urteile ergingen auch in Fällen, wo Frauen eine Zwangsbeschneidung drohte oder sie auf andere Weise Opfer von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen wurden oder zu werden drohten.
Trotz einiger Verfahrensverbesserungen wird das Zuwanderungsgesetz auch nach Meinung vieler Betroffener, die beim Info-Abend anwesend waren, im Geist der Abschottung umgesetzt. So wurden für die eingerichtet Härtefallkommission des Landes die Zugangsmöglichkeiten eng und die Ausschlussgründe sehr weit gefasst. Nur wenige Antragssteller können mit einem positiven Bescheid rechnen. Somit bleibt das Problem bestehen, was mit den 200 000 Menschen passieren soll, die in Deutschland zurzeit nur geduldet werden und eine äußerst ungewisse Zukunft vor sich haben. Es handelt sich dabei v. a. um Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darunter sind viele kinderreiche Familien, die oft schon 10 Jahre oder länger in Deutsch-land leben. Allein in der Stadt Ludwigsburg leben nach vorsichtigen Schätzungen weit über 200 Menschen in Duldung und müssen damit rechnen, dass sie auch kurzfristig abgeschoben werden können. Viele der davon betroffenen Kinder sind hier geboren und über die Kindergärten und Schulen hervorragend integriert. Die ungeklärte Altfall-Regelung steht auf der Tagesordnung der Innenministerkonferenz, die am 8. und 9. Dezember tagt. Es ist zu hoffen, dass es zu großzügi-gen und praxisnahen Entscheidungen kommt.
Obwohl das Zuwanderungsgesetz den Ausreise –und Abschiebedruck auf viele Flüchtlinge eröht hat, eröffnet es auf örtlicher Ebene auch Möglichkeiten für mehr Integration. So wurde darauf hingewiesen, dass die Ausländerbehörde im Landratsamt Ludwigsburg durch Beratung und entsprechende Bescheide die Integration viele Flüchtling erfolgreich voranbringt.
Ein ausdrückliches Lob für ihre engagierte Arbeit erhielten vom Arbeitskreis Asyl auch die Mitarbeiter der Sozialberatung für Asylsuchende im Landratsamt Ludwigsburg.
„Es bleibt zu hoffen“, betont die Referentin, “ dass alle mit dem neuen Aufenthalts- und Asylrecht befassten Stellen ihren Ermessensspielraum im Sinne der Menschlichkeit für die Flüchtlin-ge ausschöpfen. Dann funktioniert das Gesetz nicht als eine für die Kommunen teuere Sackgasse, sondern als Brücke, die das Zusammenleben voranbringt.“
Bei der sich anschließenden Aussprache trugen viele Flüchtlinge ihr Schicksal vor und baten den Arbeitskreis um Unterstützung. Einer der Anwesenden betonte unter großem Beifall: „Niemand verlässt sein Land ohne Grund. Flüchtling zu sein zieht Leiden und furchtbares Heimweh nach sich.“

Weitere am Abend vorgestellte Einzelschicksale:

 Eine fünfköpfige Familie aus dem Kosovo lebt seit 7 Jahren in Baden-Württemberg. Das jüngste Kind ist hier geboren. Der Vater arbeitet seit zwei Jahren in einer Gärtnerei in einem Vorort von Ludwigsburg. Die Kinder besuchen die Jungschar des CVJM und die Leichtathletikgruppe des örtlichen Sportvereins. Dennoch lebt die Familie in großer Rechtsunsicherheit. Die Angst, die neue Heimat zu verlieren, steigert sich an den Tagen, bevor die Eltern auf dem Rathaus erschei-nen müssen, um ihre Duldung verlängert zu bekommen. Wer so über Jahre hinweg in Angst leben muss, droht darüber krank zu werden. Insbesondere die beiden 12 und 11 Jahre alten Mädchen haben immer wieder mit einer großen Unruhe zu kämpfen, die auch schon ihren Lehrern und Schulkameraden aufgefallen ist. Dennoch ist der Vaters überaus dankbar, dass er eine gute Arbeit hat und auf viele Menschen trifft, die ihm Verständnis und Hilfe entgegenbringen.

 Unter den Besucher war auch Herr T., ein 27jähriger angehender Student aus der Türkei. Er hatte in der Türkei Sozialarbeit studiert und dann den Militärdienst verweigert. Der junge Mann mit a-levitischem Hintergrund wollte nicht als Soldat gegen die eigenen Landsleute in den Krieg ziehen. Er verließ das Land und arbeitete zwei Jahre für die Vereinten Nationen im Kosovo. Sein erstes Asylgesuch in Deutschland vor 3 Jahren wurde abgelehnt. Im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes kam es zu einer erneuten Überprüfung, und er fand verständnisvolle Richter, die ihm ein Bleiberecht zusprachen. Nun bereitet er sich auf die Deutschprüfung vor, die es ihm ermöglichen soll, in seinem neuen Land studieren zu können.

 E. hat große traurige Augen und ist ein überaus ernsthafter Mensch. Auf dem Heimweg vom Got-tesdienst wurde er an einem Sonntag von Angehörigen eines ihm feindselig gesonnen Stammes überfallen. Zunehmens geraten Christen in Westafrika in Verfolgungssituationen, wenn bestehende Spannungen von islamischer Seite weiter aufgeheizt werden. E. wurde misshandelt, inhaf-tiert und deportiert. Man lies ihn frei mit der Drohung, er müsse das Land verlassen, wenn er seine Frau und seine Kinder nicht in Gefahr bringen wolle. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. In beschränktem Umfang darf er als Reinigungskraft arbeiten und er ist froh darüber, dass er mit seinem 7-Tage-Job am Sonntagmorgen so früh fertig ist, dass er noch den Gottesdienst seiner Gemeinde besuchen kann.

<< Zurück zur Übersicht